Über Steinstücken

Geschichte von Steinstücken


30 Aug., 2019
Mein Bericht Annemarie und ich hatten eine unruhige Nacht. Es war bitter kalt geworden. Die Temperatur rutschte auf mindestens -20° Celsius in der Nacht. Am Tag davor hatte es noch geschneit. Um Mitternacht hörten wir vom B-Turm an der Bahnlinie laute Geräusche. Aus dem Turm konnte man nichts mehr beobachten, die Scheiben waren voll vereist. Der Eisendeckel der die Abstiegsleiter im Turm verdeckte schlug laut zu und wir ahnten, dass sich die Grenzer aus dem zugefrorenen Turm in den Erdbunker zurückgezogen hatten. Dieser Bunker war nur ein massiver Schutzraum mit Schießscharten und befand sich in ca. 50m Abstand vom Turm entfernt. Nach der Ablösung der Grenzer fuhr ein Wartburg um ca. 400 Uhr, in dem sich der OVD und ein weiterer Soldat befanden. Nun waren 4 Grenzer in dem kleinen Erdunterstand. Der Wartburg parkte parallel neben den Bahngleisen. Es war ca. 410 Uhr als der Güterzug langsam aus Drewitz kommend, durch das Loch in der Grenzbefestigung Richtung Wannsee fuhr. Annemarie und ich schreckten hoch. „Was war das, waren das Schüsse aus einer MP“? fragte ich Annemarie, „keine Ahnung“ sagte sie und wir krochen wieder unter unsere Bettdecke. Kurze Zeit, es war nur wenig Zeit vergangen, klingelte es bei uns an der Tür. Wir schreckten ein zweites Mal hoch. Sollten das die Fahrer von der Meiereizentrale sein, die immer die Milchprodukte ohne zu klingeln vor unserer Haustür ablegten. Wollten sie vielleicht nur auf die Kälte aufmerksam machen, damit wir die Lieferung ins Haus nehmen sollten? Annemarie betrieb zu dieser Zeit noch den Lebensmittel-Laden. Ich ging im Nachthemd zur Tür, öffnete, und vor mir stand ein junger Mensch im verschmutzten Anorak, blutigen Händen und hielt mir einen blauen Personalausweis der DDR vor. Mit zitternder Stimme sprach er, „ich bin aus der DDR geflüchtet.“
30 Aug., 2019
März 1972 Ich bin beim Schwiegervater (Gerhard C.), genannt „Opa“ und wir besprechen unseren Kauf des Hauses in Steinstücken. „Ihr seid aber mutig, aber wo liegt denn Steinstücken“? Ich sage „Vater das weißt du nicht! Es ist zu entschuldigen, ich wusste es bis vor ein paar Tagen auch nicht“. Also erkläre ich ihm die Lage des Ortsteils von Zehlendorf / Wannsee. Der Ortsteil liegt im Hoheitsbereich der DDR und kann nur durch zwei Kontrollposten mit Einreiseberechtigung oder eingetragener Wohnung im Ausweis dorthin erreicht werden. Vater sinniert. „Ja ich würde gerne mal ansehen, was ihr gekauft habt, aber einen Antrag auf einen Besuch stelle ich nicht, weil es mir zu riskant ist. Ich bin immer noch ein Staatsfeind der DDR.“ Man muss wissen, dass mein Schwiegervater wegen staatsfeindlicher Volkshetze von 1953 bis 1956 in DDR-Gefängnissen eingesessen hatte und von der Bundesrepublik Deutschland frei gekauft wurde. Die verhängte Strafe lautete „Zehn Jahre Haft“. Wir beide schmieden einen Plan ihn doch für eine kurze Zeit ein- und wieder auszuschmuggeln. Bei dieser Überlegung kommt mir eine beobachtete Situation an der Grenze zugute. Ich bemerkte, dass nur Personenkraftwagen kontrolliert, aber keine Lieferwagen nach „Menschenschmuggel“ durchsucht werden. Ich bin bei einem Elektrohandel tätig und kann mit einem Firmenwagen nach Steinstücken fahren. So nehme ich an einen der folgenden Tage einen großen Farbfernseh-Karton aus einer anderen Kunden-Lieferung mit nach Hause. Nun wird es spannend. Ich fahre am Donnerstag den 9. März um Zehn Uhr zum Opa, er ist immerhin schon sechzig Jahre alt und arbeitet in der Spinnstofffabrik Zehlendorf im Schichtdienst. Er hat Nachtschicht und ist schon wieder auf. Wir probieren den Karton aus, ob er für ihn groß genug ist. Die oberen Kartonteile lassen sich sauber schließen, ohne dass sie ausbeulen. Es soll ja so aussehen als würde ich einen neuen Farbfernseher ausliefern. Er stimmt sofort zu, die Einreise im Fernsehkarton mit zu machen. Wir machen uns auf den Weg. Auf der Straße durch den Kohlhasenbrücker Wald halte ich an und mein Schwiegervater klettert in den Karton. Den Originalzustand stelle ich durch Zukleben des Kartons mit Blaupunkt Klebeband wieder her. Nun geht es zum Schlagbaum „ Kontrollpunkt Kohlhasenbrück“. Ich halte am geschlossenen Schlagbaum, der Wachhabende DDR-Soldat kontrolliert meinen Ausweis, schaut durch die Fenster in den Laderaum des VW Transporters und lässt mich passieren. Nach kurzer Transitfahrt durch den Wald der Parforceheide stehe ich vor den Schlagbaum kurz vor Steinstücken. Es läuft wieder die gleiche Prozedur ab wie vor ein paar Minuten ohne Beanstandung und wir sind nach ein paar Metern in Steinstücken. Nun muss ich so halten, dass von den B-Türmen der Wagen nicht gesehen wird und Opa klettert aus den Karton. Die Besichtigung des Hauses und des Gartens gleicht einer großen Euphorie für meinen Schwiegervater. Er ist begeistert, drängt aber nach kurzer Zeit zur Rückfahrt. Nach dem kurzen Aufenthalt brechen wir wieder auf. Er klettert wieder in den Karton und diesmal klebe ich den Karton nicht zu. Es soll ja so aussehen als hätte ich geliefert. Es müssen dieselben Grenzer am Schlagbaum stehen, die uns vor einer Stunde durchgelassen haben, sie werden gegen Mittag abgelöst. Es geht alles glatt und wir sind wieder in West Berlin. Diese Aktion ist im Nachhinein gesehen sehr riskant und auch leichtsinnig gewesen. Aber was macht man nicht alles um einem Menschen einen Wunsch zu erfüllen. GK/72
30 Aug., 2019
In den Jahren der Regierungszeit des „Alten Fritz“, Friedrich II oder Friedrich der Große genannt (1740 –1786), wurden altgediente Soldaten für ihre Treue zum König mit einem Stück Ackerland und einer kleinen Kate belohnt. So auch auf dem heutigen Teil Steinstückens. Als Merkmal der kleinen Ländereien waren die typischen, in der Mark Brandenburg noch häufig anzutreffenden Abmessungen zu sehen. Diese Grundstücke maßen nicht mehr als 16 Meter in der Breite, hatten aber eine Tiefe von bis zu 200 Metern. Vorn an der Straße stand, mit einem kleinen Vorgarten versehen, das mit einem Geschoß erbaute Lehmhaus oder ein Haus aus gebrannten Abrißsteinen, welches fast die gesamte Breite des Grundstückes einnahm. Bekannt geworden sind diese Bauformen als Kossetenhäuser. Kosseten = Kleinbauern. In Steinstücken sind noch zwei Häuser dieser Form zu sehen. Um die Jahrhundertwende waren noch mehrere dieser Haustypen in Steinstücken, weil dieser Teil von der Potsdamer Heide umgeben war. Zusätzlich wurde eine Kiesgrube und eine Lehmkuhle genutzt. Auf einer Landkarte aus dem Jahre 1780 ist bei der Flurbezeichnung Steinstücken ausdrücklich vermerkt worden „Gehört zu Stolpe“. Damals war also Steinstücken eine Exklave Stolpes (am Stölpchensee) in dem der Stadt Potsdam gehörenden Gebiet. Der Kohlhasenbrücker Architekt und Landschaftsgärtner Bernhard Beyer, ließ auf dem Steinstückener Acker eine Landhauskolonie anlegen, bei dem auch der bekannte Architekt Erich Mendelsohn 1887 –1953 mitwirkte. ( Das Haus in der Bernhard-Beyer-Str. 12) 1920 wurde Steinstücken gemeinsam mit Wannsee, dessen Exklave sie war, nach Groß-Berlin eingemeindet, obwohl sie rings von Brandenburger Land umschlossen war, und es nahe gelegen hätte, sie in das unmittelbar angrenzende Babelsberg einzugliedern. So kam es, daß der kleine Ort im Jahre 1945 ein Teil des „amerikanischen Sektors“ von Berlin wurde, während das Land drum herum zur „Sowjetischen Besatzungszone“ gehörte. Ein ca. ein Kilometer breiter Streifen sowjetisch besetzten Gebietes trennte Steinstücken von dem westlichen Teil Berlins, dem Bezirk Zehlendorf. Das war für die ca. 170 Einwohner recht unbequem. Kein Omnibus durfte bis dorthin fahren. Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurde jeder, der von West-Berlin durch den einzigen von der DDR bewachten Zugang nach Steinstücken wollte, beim Verlassen westlichen Bodens und unmittelbar vor dem Betreten der damaligen Exklave von dem Grenzkommando der Nationalen Volksarmee kontrolliert. Passieren durfte nur, wer dort seinen Wohnsitz hatte, oder als Bürger mit zweitem Wohnsitz gemeldet war. Besucher mit einem westdeutschen Reisedokument wurden abgewiesen. Ebenso geschahen die Kontrollen bei dem umgekehrten Weg von Steinstücken nach Kohlhasenbrück. Durch die Beharrlichkeit und die große Initiative des leider bereits verstorbenen Dr. Werner Mittelbach konnte Steinstücken trotz der massiven Schikanen ausharren. Er war einer der mutigen Männer, welche sich bis zum Berliner Stadtkommandanten General L. Clay vorwagten und um Beistand für Steinstücken baten. General L. Clay ließ daraufhin einen Stützpunkt der US-Militärpolizei in Steinstücken einrichten. Die aus drei Soldaten bestehende Mannschaft wurde wöchentlich abgelöst und durch einen Hubschrauber der amerikanischen Streitkräfte ein – und ausgeflogen. Durch die Vereinbarung über den Gebietsaustausch, die am 20. Dezember 1971 getroffen wurde, erhielt Steinstücken eine unmittelbare Verbindung mit West-Berlin. Als Tauschobjekt dienten kleine unbewohnte Ackerflächen, die u.a. in den Nuthe Wiesen bei Potsdam lagen, und eine gehörige Portion Geld. Man sprach von 2 Millionen. Die neu geschaffene Verbindungsstraße wurde am 30. August 1972 eingeweiht und dem freien Verkehr übergeben. GK/72
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